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Bis einer heult!

Es ist Sommer und es ist ein heißer Sommer. Auch bei facebook und in Internetforen geht es heiß her. Die Diskussionen überschlagen sich, soll man Hunde scheren oder lieber nicht.
Nüchtern betrachtet könnte man an dieser Stelle mit den Schultern zucken und sagen „Muss jeder für sich und seinen Hund entscheiden“. Ja, im Prinzip schon, aber nicht in den sozialen Medien, denn da kann man ungefragt jedem seine Meinung nicht nur sagen, sondern doch gleich lieber geigen. Gleich mal ordentlich dem anderen Bescheid geben. Tatsächlich war genau das Anlass für diesen Artikel.
Jedes Jahr wird ein Wärmebild eines halbgeschorenen Hundes geteilt, mit Temperatur-Angabe am geschorenen, sowie am ungeschorenen Teil des Körpers. Dieses wird zum „Beweis“ für die „Anti-Scher-Fraktion“, soll es doch die gut isolierende Wirkung des Felles zeigen.

Screenshot 20210109 182736 United Kiosk LibraryWeil das leider Quatsch ist, denn wir sehen ja nicht die Temperatur auf der Haut, sondern auf dem Fell, habe ich spaßeshalber ein Wärmebild von mir erstellt, in Shorts und Winterjacke. Sehr schön sieht man, dass es oben bei der Jacke kühl ausschaut, während meine Beine rot vor Wärme glühen.
Zieht man die gleichen Rückschlüsse wie beim Hundebild, müssen wir jetzt davon ausgehen, dass es unter meiner dicken Winterjacke schön angenehm kühl ist, denn die schützt mich ja vor der Wärme, wie das Bild beweist. Ich versichere Ihnen, das Gegenteil war der Fall.
Die paar Minuten für das Fotoshooting bei 32 Grad waren wirklich unangenehm, nicht auszudenken, ich hätte es länger in der Jacke aushalten müssen.
Ich postete das Bild bei facebook mit einem erklärenden Kommentar, ganz wertfrei und empfahl, dass am Besten jeder selbst zum Wohle seines Hundes entscheiden möge und man schlicht auch einfach die Entscheidung eines anderen akzeptieren könne. Was als witzige Idee mit trotzdem sachlichen Hintergrund gedacht war, eskalierte völlig.
380 Kommentare später weiß man wie Kriege entstehen. Oder auch nicht. Die Leute beschimpften sich, prophezeiten Felllücken und Hitzeschlag, da schenkte keine Seite der anderen etwas.
Sachargumente? Vereinzelt. Aber die unsachlichen von Sarkasmus gespickten Spitzen überwogen bei weitem.
Worum ging es eigentlich? Weltfrieden, den Hunger in der dritten Welt zu stillen, wie bekommen wir unsere Meere wieder plastikfrei, wie bewältigen wir die Sache mit dem CO2?
Nein, es ging um Hundehaare. Hundehaare!Auch ging es den allermeisten Mitdiskutierenden nicht darum, den anderen durch gut dargelegte Sachargumente einen Einblick in die eigene Sichtweise zu geben, und eventuell zu überzeugen, nein, man wollte darlegen, dass man es selber besser weiß und der andere doof ist und nach Pippi stinkt. Mindestens. Solch entartete Diskussionen erlebt man bei den verschiedensten Themen, das Scheren von Hunden ist nur eines davon. Wir könnten auch mal über vegane Hundeernährung sprechen, oder alternativ dazu übers BARFen, ach eigentlich ist jede Form von Futter dazu geeignet einen Streit vom Zaun zu brechen.
Welches Zeckenschutzmittel ist denn das richtige, nutzen Bernsteinketten oder doch lieber Keramik? Kokosöl oder besser Schwarzkümmelöl? Halsband oder Geschirr, was ist denn nun besser und wenn Geschirr, welches denn dann? Regeln Hunde die Sache unter sich oder ist das doch nur ein Ammenmärchen? Darf der Hund im Bett schlafen, zuerst aus der Tür gehen und wer isst eigentlich am Besten zuerst, ich oder der Hund? Die Liste ist lang und all das lässt die Emotionen hochkochen, zumindest im Internet. Screenshot 20210109 182736 United Kiosk Library
Eigentlich sind aber all das doch wirklich keine lebensbedrohlichen Themen und vieles könnte man gleich abhaken: Leben und Leben lassen.
Was im wahren Leben (hoffentlich) funktioniert, scheint in den sozialen Medien nicht möglich zu sein. Triggerthemen enthalten Zündstoff und wo Zündstoff ist, muss es auch knallen.
Bis nachts um drei wird kommentiert was das Zeug hält, liest man als Unbeteiligter in solchen Fäden mit, stellt man fest, dass häufig die Erwiderung der anderen augenscheinlich nicht einmal gelesen wird.
Dialog ist out, Recht-haben ist in. Ich gestehe: Ich mische mit. Nicht immer, aber wenn ich, wie im Beispiel ein Wärmebild poste, sollte ich wohl auch an der folgenden Diskussion teilnehmen.
Meist bin ich sachlich, manchmal humorvoll, sicher auch mal genervt, dann und wann poste ich

weiterführenden Links zum Thema. Die kann man sich übrigens sparen, die liest in so einer Situation eh keiner. Zumindest nicht die, für die man sie angedacht hatte. Früher habe auch ich mich weitaus hitziger in solchen Diskussionen eingebracht. Ob ich damit überzeugt habe? Rückblickend wohl eher nicht. Außerdem musste ich feststellen, dass mir das nicht gut getan hat, ich hab mich den halben Abend über völlig unwichtigen Schwachsinn aufgeregt, und so, kostbare Lebenszeit verschwendet. Ich war wütend über den schlechten Diskussionsstil und konnte nicht verstehen, dass der andere einfach nicht einsehen wollte, dass ich Recht habe.
Ob mein Diskussionspartner wohl bei sich daheim auf dem Sofa die gleichen Gedanken hatte? Die Wahrscheinlichkeit ist groß. Tatsächlich finden sich solche Diskussionen nicht nur bei Hundethemen sondern in allen Lebensbereichen. Es ist fast heilsam, wenn man so eine Diskussion zu einem Thema verfolgt, das einen persönlich nicht betrifft. Vielleicht melden Sie sich in einer Elterngruppe bei facebook an und lesen sich Beiträge zur veganen Ernährung bei Kleinkindern durch.
Dort findet sich der exakt gleiche emotional hochgefärbte Diskussionsstil. Nach, wenn überhaupt vorhandenen, wenigen sachlichen Beiträgen beginnt das Hauen und Stechen.
In kürzester Zeit schlagen die Wellen hoch und die gut informierten Eltern gehen sich verbal an den Kragen. Jeder der Diskutanten liebt seine Kinder und will nur das beste für sie. Was alle einen könnte, trennt aufgrund einer Diskussion um Dinge, die man schlichtweg für andere nicht zu entscheiden hat.

 Screenshot 20210109 182739 United Kiosk Library

Ist man also nicht emotional beteiligt, kann man diesen Beiträgen gelassen und mit Augenzwinkern folgen. Sobald wir das nun aber in einen Lebensbereich übertragen, der uns selbst emotional berührt, dann wird es schwierig.
Manchmal „rotten“ sich ganze Horden Gleichgesinnter zu einem Thema zusammen die sich dann auf einen Beitrag stürzen und einfallen wie eine Heuschreckenplage. Sie bestätigen sich gegenseitig und überbieten sich in Herabwürdigungen der jeweils Andersdenkenden. Menschen agieren in Gruppen und bestimmten Gruppierungen häufig ganz anders und vor allem viel extremer, als wenn sie allein sind und man ihnen im wahren Leben begegnet.
Gerade die sozialen Medien sind da oft kein gutes Beispiel für sozialen Umgang. Die Anonymität des Internets lässt uns vergessen, dass auf der anderen Seite auch ein Mensch mit Gefühlen sitzt. Der Gründe für seine Entscheidungen, seine Sichtweise und seine Argumentation hat, die nicht zwingend schlechter sein müssen als unsere eigenen. Der emotional betroffen ist, wenn wir ihm mal so richtig die Meinung gegeigt haben und ihm klar dargelegt haben, dass er Schuld daran ist, wenn sein Hund Sonnenbrand bekommt, mangelernährt ist oder was auch immer grade das Thema ist. Screenshot 20210109 182741 United Kiosk Library
Das der auf der anderen Seite des Rechners, danach vielleicht mit Bauchschmerzen ins Bett geht, obwohl er bis um drei in der früh erhitzt mitdiskutiert hat. Vielleicht hat es jemanden in einer schwierigen Lebenssituation getroffen, wenn ein Mob auf ihn losstürmt und beschimpft, auch wenn es doch „nur“ online ist. Wenn wir Teilnehmer an so einer Diskussion sind und feststellen, das „der Andere“ uns wütend macht, dann sollten wir uns sofort stoppen. Der einzige Mensch über den wir Kontrolle haben, sind wir selbst. Ich habe mir angewöhnt in solchen Situationen besser nicht sogleich zu antworten, oder aber – wenn ich mich nicht beherrschen kann - zu antworten, aber noch nicht auf „senden“ zu drücken.
Dann atme ich ein bisschen, je nachdem wie sehr mich das Thema triggert mache ich mir auch einen Tee, oder gehe ne Runde mit dem Hund. Dann atme ich noch ein bißchen und wenn ich dann meinen Text noch immer gelungen finde, klicke ich auf „senden“. In Bereichen in denen es um Hundethemen geht, funktioniert für mich dieser Drei-Punkte-Plan sehr gut:


1. Stirbt der Hund, wenn ich mich nicht jetzt sofort dazu äußere?

Das ist tatsächlich ziemlich selten der Fall, das bedeutet, ich muss gar nicht unbedingt antworten und wenn ich doch unbedingt will, ist es nicht soooo dringend, als das ich nicht auf meine Wortwahl achten könnte. 2. Liegt mir dieser Mensch oder dieser Hund persönlich am Herzen?
Ist es der Hund der Oma, der Nachbarn oder von jemandem den ich gut kenne?
Das scheint mir bei den meisten Internetdiskussionen eher nicht der Fall zu sein. 3. Ist es meine Aufgabe, dass ich diesen Menschen auf einen vermeintlichen Fehler aufmerksam mache?
Wenn auch diese Antwort „Nein“ lautet, dann ist mein sofortiges Eingreifen in die Diskussion nicht erforderlich. Echt nicht. Mir hilft das, zugegeben klappt es natürlich auch nicht immer, jeder von uns hat seine Trigger, aber ich arbeite daran. Screenshot 20210109 182745 United Kiosk Library
Gerade wenn eine Diskussion schon fortgeschritten ist, ist vielleicht bereits alles gesagt worden. Nur nicht von jedem, schon klar.Wie schön wären die sozialen Medien, wenn jeder seine Antwort so formulieren würde, als wäre es die Antwort auf eine Frage des besten Freundes. Ich bin Teil einer sehr großen facebook Gruppe mit über 20.000 Mitgliedern. Manche Menschen trauen sich nicht ihre Fragen zu stellen und bitten uns als Admins, den Beitrag anonym zu posten. Screenshot 20210109 182747 United Kiosk Library
Sie haben Angst und Sorge Opfer eines Shitstorms zu werden, oder das sie von facebook Freunden wegen ihres Problems schräg angesehen werden. Und manchmal ist es mühsam einen Beitrag zu moderieren, in dem Menschen mit „Wie kann man nur...“, „Kein Wunder das...“, angefeindet werden. Wir bemühen uns um einen wertschätzenden Gesprächsstil in der Gruppe und da viele Mitglieder genau das schätzen, entwickelt sich eine eigene Dynamik, in der ätzende Diskussionsbeiträge rasch kommentiert werden mit dem Hinweis, dass wir hier so nicht miteinander sprechen. Erstaunlich oft nehmen sich die Leute dann auf den freundlichen Hinweis auch zurück. Es kann also funktionieren, wenn wir alle das wollen. Wir haben es in der Hand. Wollen wir darüber diskutieren?

 

Erschienen in der SitzPlatzFuss 37, Oktober 2019
Autorin: Manuela Zaitz
Bilder mit freundlicher Genehmigung des Cadmos Verlages